Hallo allerseits,
hab hier noch was auf dem Desktop liegen, was ursprünglich mal als Artikel für die KuaS gedacht war. Allerdings war dann doch der Inhalt etwas zu heikel formuliert, dass man verständlicherweise lieber davon Abstand nahm. Hätte das Ganze natürlich auch "entschärfen" können, wodurch dann allerdings der rote Faden etwas gelitten hätte. Egal, wenn ich´s schon da hab, dann halt gerne hier:
Taxonomie mal anders
Es gibt Sammler, deren Hauptaugenmerk auf der Taxonomie samt deren Komplexität liegt und es gibt Sammler frei nach dem Motto „Ich pflege Pflanzen und keine Schilder – Namen sind Schall und Rauch“. Die zweitgenannte Einstellung ist insofern verständlich, da die Taxonomie der Kakteen einem stetigen Wandel unterliegt. „Panta rhei“ trifft nicht nur in der Evolution zu, sondern auch bei unseren sukkulenten Lieblingen.
Dabei muss Taxonomie an sich gar nicht immer trocken sein, wenn man sie mal unter einem etwas anderen Blickwinkel betrachtet. Zumindest frag ich mich manchmal, was die Biologen geritten hat, als sie sich den einen oder anderen Namen einfielen ließen. Früher ging man wohl einfach davon aus, dass man unter sich sei und der ungebildete Normalsterbliche mit dem Namen sowieso nichts anfangen kann. Wie sonst kann die Gemeine Stinkmorchel unserer heimischen Wälder zu dem provokativen Namen Phallus impudicus kommen? Wobei, ein kurzer Blick auf die Morchel reicht als Erklärung vollkommen aus: Ein unverschämter, erigierter Phallus.
https://de.wikipedia.org/wiki/Gemeine_Stinkmorchel
Oder auch die Gattung Amorphophallus aus der Familie der Aronstabgewächse (Araceae) samt dem Titanenwurz, mit der viel gerühmten, größten Blume der Welt, trägt ihren Namen „unförmiger Penis“ nicht ganz zu unrecht.
Natürlich mussten nicht nur männliche Geschlechtsmerkmale aus der Humanbiologie für Namensgebungen in der Flora herhalten. Unschuldige Verwandtschaft unserer beliebten Gartenbohne bekam den Namen Clitoria (hier dürfte keine Übersetzung nötig sein) und die Namensgebung bezieht sich sicherlich nicht auf den Blütenduft. Treffenderweise ist diese Gattung u.a. auch noch im Amazonasbecken beheimatet, aber das kann nur Zufall sein.
Taxonomie muss also sicher nicht trocken sein und zum Glück blieben unsere Kakteen und anderen Sukkulenten von solchen Ferkeleien bei der Namensgebung verschont. Oder etwa doch nicht? Aber fangen wir lieber von vorne an: Was ist sinnvoll bei der Namensgebung zu beachten? Hier gibt es ja bekanntlich die drei Klassiker: Namen (Entdecker, Wissenschaftler, etc.), geographische Herkunft oder besondere, auffällige Merkmale der neu zu beschreibenden Pflanze.
Nichts gegen die Würdigung verdienter Persönlichkeiten, aber als Pflanzenname ist die für uns Pflanzenfreunde meist nicht so sonderlich spektakulär. Viel interessanter sind da schon die Inspirationen des Habitus, welche insbesondere bei den Kakteen zu ein paar wirklich gelungenen Namen geführt haben:
Armatocereus – der bewaffnete Cereus
Astrophytum ornatum – die geschmückte Sternpflanze
Austrocylindropuntia – die südliche Zylinderopuntia (in Anlehnung an die nord- und mittelamerikanischen Zylinderopuntien)
Cumulopuntia – die Haufenopuntia
Pelecyphora aselliformis und Pelecyphora strobiliformis – die asselförmige- sowie die zapfenförmige Beilträgerin (bei den Namen reicht wirklich ein kurzer Blick auf die jeweilige Pflanze, um jegliche Verwechslungsgefahr im Keim zu ersticken).
Rebutia muscula – das Mäuschen unter den Rebutien
Diese Liste ließe sich jetzt natürlich noch lange fortsetzen und sicher hat jeder Leser seine persönlichen Beispiele auf Lager. Zugeben muss man jedoch, dass solche Bezeichnungen doch sicher schöner und aussagekräftiger sind, als Benennungen nach Menschen.
Aber auch hier gibt es natürlich Ausnahmen. Einer meiner persönlichen Lieblingskakteennamen fällt sogar unter diese Kategorie: Obregonia denegrii – treffender kann doch ein mexikanischer Kaktus nicht benannt werden!
General Álvaro Obregón Salido war mexikanischer Revolutionsführer, bevor er Präsident der Republik wurde. Zu Beginn seiner zweiten Amtszeit wurde er allerdings 1828 von einem katholischen Geistlichen erschossen.
Das Epitheton ehrt Ramón P. de Negri, welcher ebenso an der mexikanischen Revolution beteiligt war. Hätte Frič später gelebt, wäre es durchaus möglich, dass heute eine chilenische Gattung nach Salvador Allende benannt wäre.
Der Vollständigkeit halber sollen natürlich auch andere Sukkulenten erwähnt werden, welche über durchaus interessante Namen verfügen. Beispielsweise die Gattung Anacampseros aus der Familie der Anacampserotaceae, welche somit angeblich die Liebe zurückbringt.
Oder die Gattung Cynanchum aus der Unterfamilie der Asclepiadoideae. Hier soll der Name „erwürgter Hund“ (griechisch: „kýōn“ = Hund und „ágchein“ = würgen) wohl auf die Giftigkeit der Pflanzen hinweisen.
Wobei sich aber natürlich auch hier die erheiternde Liste noch lange fortsetzen ließe.
Wer sich aber nun fragt, was das alles mit den eingangs angeführten Namen zu tun hat, welche es doch bei unseren Kakteen und anderen Sukkulenten gar nicht gibt, dem kann auch gerne geholfen werden. Selbstverständlich sind solche Frivolitäten nicht ganz spurlos an selbigen vorbeigegangen. Aber was genau meinte Alwin Berger seinerzeit wohl, als er Peniocereus diesen Namen verpasste? Selbstverständlich kann man nun „Penio“ auch wohlwollend mit „Faden oder Stab“ übersetzen, aber es steht schon zu befürchten, dass er das gemeint hatte, woran man bei „Penio“ auch im ersten Moment denkt. Dennoch bleibt offen, ob damit die schlanken Triebe gemeint waren oder doch die etwas auffällig wirkenden Knospen, beispielsweise beim Peniocereus viperinus. Und ganz unter uns: Die „schlangenartige Peniskerze“ ist doch auch deutlich treffender als die „schlangenartige Fadenkerze“, oder? Soll nochmals jemand sagen, Taxonomie ist langweilig und trocken.
Wer die Thematik etwas vertiefen will, der darf gerne hier noch eine Runde stöbern: https://de.wikipedia.org/wiki/…er_Namen_aus_der_Biologie - hierzu besten Dank an Norbert, der über diese herrliche Auflistung gestolpert ist.
Quelle u.a.: Dr. Dieter Helm, "Biologie der Kakteen"