Extraflorale Nektarien

Guten Tag Gast. Schön, dass Sie mal hereinschauen! Einen angenehmen Aufenthalt wünscht das "Sukkulentenforum"-Team.
  • Bei manchen Kakteen-Arten, wie zum Beispiel der Thelocactus bicolor-Gruppe oder einer ganze Reihe von Ferocacteen, besitzen die Areolen oft Nektar absondernde Drüsen, die Insekten anlocken und damit der Bestäubung dienen. Diese außerhalb der Blüte angeordneten Nektardrüsen werden als extraflorale Nektarien bezeichnet.


    Die Nektardrüsen sind auch die Ursache für den Rußtaupilz, der die Dornen und Areolen aussehen lässt, als hätte man sie mit feinem Holzkohlestaub bestäubt.


    Auf dem Bild erkennt man die Nektardrüse eines Thelocactus bicolor ssp.schwarzii.

  • Sehr schade, dass Stefan hier nicht mehr unterwegs ist. Seine Frage nach dem "Warum" Tephrocactus kann ich nun (nach etwas Recherche) zumindest teilweise beantworten. Angeregt hierdurch Corryocactus hab ich mich etwas näher mit der Thematik der extrafloralen Nektarien befasst.


    Die kommen doch bei weit mehr Kakteenarten- und gattungen vor, als man so gemeinhin denkt. Auch bei opuntioiden Kakteen oder häufig auch bei diversen Säulen. Neben den Laubblättern sind es meist umgebildete Dornen, welche den Nektar bilden bzw. ausscheiden.
    Hab aber noch einen Stapel (englischsprachig, deshalb dauert´s ein bissl länger zum Abarbeiten) Literatur da und hoffe noch neue Erkenntnisse zu gewinnen. Fertig bin ich aber erstmal mit dem Artikel von Mauseth, Rebmann und Rodrigues Machado aus dem Cactus and Succulent Journal. Hochinteressant, schön verständlich sowie sehr ausführlich geschrieben! Auf die Anatomie, etc. möcht ich gar nicht weiter eingehen, sondern eher erstmal das "Warum" aufgreifen. Ist für euch auch höchstwahrscheinlich viel interessanter.


    Eine Theorie hatte ich beim Corryocactus ja bereits geäußert, aber wahrscheinlich ist es sinnvoller in diesem Thread fortzufahren. Zumindest lag ich mit meiner Theorie ja mal nicht verkehrt. ;) Allerdings werden die Nektarausscheidungen der Kakteen im Artikel ausschließlich mit Ameisen in Verbindung gebracht, aber wer weiß, ob´s da nicht noch mehr Abnehmer gibt...
    a) zum einen stellen durch den Nektar angelockte Ameisen eine Art Schutzpatrouille dar, welche den Kaktus eben schützen, reinigen und potentielle Agriffsorganismen (von Pilzen bis zu anderen Insekten) von ihrem Nektarspender fernhalten
    b) da Ameisen auch pragmatisch sind, legen sie im besten Fall ihr Nest in unmittelbarer Kaktusnähe an und sorgen somit durch ihre Essensreste, Ausscheidungen, etc. für einen guten Dünger
    c) Ameisen könnten auch für eine größere genetische Vielfalt sorgen, wenn sie krabbelnde Bestäuber von den Blüten fernhalten und dadurch nur noch flugfähige Bestäuber an die Blüten kommen. Diese haben dann natürlich einen doch weitaus größeren Aktionsradius und können damit für eine deutlich bessere Durchmischung des Genmaterials sorgen, als irgendwelche Krabbler.


    Wer noch weitere Ideen oder Theorien hat: Gerne immer her damit! In der Natur ist nichts ohne Sinn und so eine Ressourceninvestition wie Nektarbildung außerhalb von Blüten kann schon gut und gerne noch mehr plausible Gründe haben.


    Vielleicht ernähren sich auch manche Marienkäfer temporär von Nektar? Es gibt ja Marienkäfer, welche beispielsweise nur Mehltaupilze fressen und sich gar nicht für (Blatt)Läuse interessieren. Jedenfalls sitzt seit gestern Mittag ein Marienkäfer auf dem Corryocactus melanotrichus und scheint sich dort auch recht wohlzufühlen:

    Die beiden, kleinen (Wolf- und Krabben-)Spinne(n) halte ich für Zufallsbesucher. Hier auf dem Balkon ist halt immer was los. ;)


    Wer weiß wodurch der Marienkäfer angelockt wurde und falls er dort Blattläuse finden würde (was er in dem Fall sicher nicht tut!), hätten die bestimmt keinen Spaß daran.


    In dem besagten Artikel werden alle bisher bekannten Kakteen aufgezählt, von welchen man extraflorale Nektarien kennt. Corryocactus ist nicht dabei... Wobei es da aber sicher noch deutlich mehr zu entdecken gibt. In Kultur sicher einfacher als im Habitat, wo der Nektar entweder schnell abgewaschen oder von Ameisen aufgefuttert wird.
    Zudem werden in dem Artikel nektarausscheidende Dornen immer als kurz und meist stumpf (manchmal auch spitz) beschrieben - aber offenbar wurden Nektartropfen bisher noch nie an den Spitzen so langer Dornen wie bei Corryocactus gefunden.


    Aber da gibt´s sicher noch deutlich mehr zu recherchieren. Auch außerhalb der Kakteen...


    Leider sind die Fotos halt ziemlich schlecht, aber der Vollständigkeit halber hier noch ein Nektartropfen an einem Ferocactus:


    Sowie ein unscharfer "Nektardorn" eines Ferocactus:


    Natürlich gibt es noch viel mehr spannende Punkte zu dem Thema wie Zeitpunkt der Nektarbildung (Jahreszeit, Blühzeit, etc.). Interssant fand ich auch zu lesen, dass normalerweise die Nektarproduktion nicht ganz so flott läuft wie hier beim Corryocactus.


    Soviel zumindest für heute von diesem Thema, falls es überhaupt jemanden interessiert.

    "Man vermeide, wenn man sich schon mit Kakteen befassen will, jede Art von Humor und Toleranz." - Glossen-Autor aculeatus in der Stachelpost 1969

  • falls es überhaupt jemanden interessiert.

    Na also!! Natürlich interessiert es! Vor allem, wenn einem jemand die Arbeit des Recherchierens abnimmt! :D

    Quallen haben 650 Millionen Jahre ohne Gehirn überlebt. Das gibt vielen Menschen Hoffnung.

  • Urs, das hast du schön geschrieben. 8o Ich werde berichten, sobald ich neue, wissenswerte Erkenntnisse gewinnen konnte.

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  • Fortsetzung? Gerne doch! Aber des Tippens wegen kürze ich ab sofort die extrafloralen Nektarien mit EFN ab. ;)


    Für alle ernsthaft Interessierten hier mal eine Kurzzusammenfassung aus dieser Studie hier: http://www.auburn.edu/academic…folkerts/oliveiraants.pdf


    Zwischen April 1997 und März 1998 wurden vergleichbare Exemplare (ähnliche Größe, ähnliche Anzahl an Blütenknospen, etc.) der Opuntia stricta in einem Umkreis von rund 500 m genauer untersucht. Diese Opuntia verfügt über EFN u.a. im Bereich der Blütenknospen.


    Zu Vergleichszwecken hat man bei 19 Pflanzen mittels Leimringen und ähnlichem den Ameisen den Zugang zu den EFN der Opuntia verwehrt. Bei den anderen Opuntien hat man in Tag- und Nachtaktionen Ameisen gezählt, Ameisenarten bestimmt, etc.


    Letztendlich hatten die Opuntien, bei welchen naschende Ameisen einen Teil der Schädlinge verjagen konnten, einen rund 50%ig höheren Fruchtansatz und somit eine doch deutlich höhere Reproduktionschance als vergleichbare Opuntien ohne Ameisenbesuch.


    Hat aber sicher nichts mit EFN zu tun. Reiner Zufall. ;)



    Und dann hab ich mich nochmals an Fotos versucht. Eine Opuntia mit EFN hatte ich leider grad nicht zur Hand:


    Viele meinen, Dornen seien nichts weiter als totes, faseriges Gewebe. ;) Dornen erfüllen nicht nur jede Menge sinnvolle Zwecke, sie sind auch noch einfach genial! :D

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  • Na also, dann ist ja alles klar, danke für Auf- und Erklärung! :D Urs

    Quallen haben 650 Millionen Jahre ohne Gehirn überlebt. Das gibt vielen Menschen Hoffnung.

  • Sicher wird es beim Corryocactus einen anderen Grund als Blüten- und Knospenschutz geben. Bisher hat er ja noch nichtmal geblüht - aber vielleicht sind die Nektarausscheidungen an den Dornenspitzen doch ein Zeichen dafür, dass er mittlerweile blühfähig wurde und ich mich dann auf nächstes Jahr freuen darf?


    Wie auch immer, auch in Kultur passiert das, was auch im Habitat passieren kann und wird. Nach dem Fotoshooting gestern blieb der Ferocactus exponiert in vorderster Front stehen und ruckzuck waren sämtliche Nektartropfen weg. Da waren halt keine Ameisen, welche "ihren" Nektar gegen andere Nektarschlürfer verteidigt haben und somit war ein stark erhöhtes Fliegenaufkommen an den Areolen zu beobachten:

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  • Ist zwar alles andere als Fliegenwetter, aber nachdem das gestern mit dem Ferocactus so hervorragend funktioniert hat, dacht ich mir heute, ich stell auch den Corryocactus mal schön exponiert auf - der schlimmste Sturm ist ja nun vorüber. Gut, bei mehrfachen Kontrollblicken konnte ich dennoch nie eine Fliege in Aktion erwischen, allerdings war wohl eine da, wie ich dann am Spätnachmittag feststellen konnte:


    Ob die nun vom Winde verweht wurde oder zu blöd zum Naschen war, werden wir wohl nie erfahren. Gezappelt hat sie aber noch.

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  • Vielleicht hat die Fliege auch einfach nur diesen Artikel hier gelesen? https://academic.oup.com/aob/a…stribution-of-extrafloral Zugegeben, der ist wirklich nur was für ganz Harte... Wobei das nun natürlich auch unfair ist. Die Materie an sich find ich ja schon spannend, aber der Artikel selbst ist etwas arg trocken. Mit genug Wasser ging´s dann aber doch irgendwie.


    Da ich euch gerne das Lesen ersparen will, hier mal eine Kurzzusammenfassung der wesentlichen Punkte (vielleicht interessiert es ja jemanden?):
    EFN kennt man sicher bei 3.941 Arten in 745 Gattungen aus 108 Familien. Dies entspricht rund ein bis zwei Prozent aller Gefäßpflanzen (je nachdem von wieviel Arten man ausgeht). Dabei sind auch vier von 36 Farnfamilien, aber das nur so am Rande.
    In 33 von 65 Bedecktsamer-Ordnungen wurden EFN nachgewiesen. Andersrum: 99,7% aller Pflanzen mit EFN sind Bedecktsamer.
    Wenn man die "Dunkelziffer" mit einkalkuliert, dann wird davon ausgegangen, dass 2 bis 3,6% aller Blütenpflanzen über EFN verfügen.


    Zum Verständnis: Als EFN wurden in dieser Abhandlung Nektardrüsen definiert, welche sich außerhalb der Blüten befinden und welche nicht mit der Bestäubung in Zusammenhang stehen.

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  • Beim Ferocactus schwarzii ist seit Wochen mächtig was los. Mehltau? Fehlanzeige!

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  • Für die Fotos vor etwas über zwei Wochen hab ich damals erst den kompletten Scheitel abwaschen müssen, weil dieser ein einziger Sandhaufen war. Früher hab ich schon die Kinder hier verdächtigt, aber warum sollten die stets ausgerechnet über den Ferocactus schwarzii Sand kippen? Mittlerweile weiß ich natürlich längst, dass die Ameisen da immer mühevoll Sand hochschleppen. Wie gesagt, vor etwas mehr als zwei Wochen hab ich den kompletten Sand aus dem Scheitel gespült und jetzt sieht´s dort wieder so aus:


    Dann kann man sich ungefähr vorstellen, wie der Scheitel nach rund einem Monat aussieht.
    Nur frage ich mich WARUM? Hat jemand zufällig eine Idee oder Theorie, warum da die Ameisen Sand hochtransportieren? Der Fero hat sicher eine Höhe von über 20 cm ab Topfrand und vom Gartenboden, wo er steht und wo der Sand herkommt, sind´s auch noch einige cm zusätzlich.
    Damit sie am klebrigen Nektar nicht kleben bleiben? Ich hab echt keine Ahnung, aber irgendeinen Sinn muss es ja ergeben.

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  • Das ist ja mal eine interessante Beobachtung. Vielleicht wollen sie einen neuen Bau auf dem Kaktus errichten... Mini Ameisenhügel sozusagen um näher an der Nektarquelle zu sein? :P

  • Interessantes Thema.


    Shamrock , hast du weiter verfolgt? Gibt es dazu noch neuere Erkenntnisse von dir, oder allgemein hier im Forum?

    Was haben die Ameisen im weiteren Verlauf des Sommers mit dem Ferocactus schwarzii gemacht?


    Vielleicht wurde das ja schon an anderer Stelle ausgiebig diskutiert, aber ich stelle hier einfach mal meine Beobachtungen und Vermutungen mit rein.

    Wenn ich mir so die Ameisen im eigenen Garten anschauen, und deren Bautätigkeiten, würde ich sagen, die hätten dir den ganzen Fero (soweit dieses Konstrukt hält) eingebaut, zur Not auch unten am Topf angefangen, über den Topfrand bis zum Scheitel des Kaktuses - ob ihm das allerdings gutgetan hätte wage ich hier mal ernsthaft zu bezweifeln ;) -, mit einem kompletten Ameisenstaat. Im Wald ist das ja nicht anders, da werden komplette Baumstümpfe eingebaut. Ich könnte mir vorstellen, aber das ist nun nur eine Vermutung von mir, dass sie ihren Nachwuchs nahe dieser Nektardorne platzieren, um ihn damit zu füttern, somit kurze Wege für ihre Brutpflege. Was sich wiederum mit dem Verhalten anderer Ameisenarten deckt, z.B. Blattschneiderameisen bringen ihre "abgeschnittenen" Blattteile in den Bau, wo sie schön mit Wärme ihre eigene Pilzkultur pflegen, was wiederum ja auch ihre Nahrungsquelle ist. - Also auch wieder die Nahrungsquelle direkt im Bau.

    Ich konnte auch schon beobachten, dass Ameisen Baue direkt um und an Pflanzen hoch, in denen sie ihre Blattlauskollonien pflegen, angelegt haben.

    Viele Grüße

    vom

    Kleinen grünen Kaktus


    Schönheit ist Ansichtssache, darum lässt sich darüber nicht diskutieren!

  • Klar, die Wege kurz halten ist immer gut. Aber grad beim Fero hat das Ameisenaufkommen die letzten Jahre stark nachgelassen. Warum auch immer? Wird weniger Nektar produziert?

    Zum Glück bleiben die Staaten der klassischen Gartenameisen deutlich kleiner als die der Waldameisen!

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  • Ja, das ist wohl doch ganz gut, sonst würde der Sandkasten, oder die Schaukel, oder was auch immer plötzlich mitten im Ameisenstaat stehen. :D


    Vielleicht waren die Ameisen nicht damit einverstanden, dass du ihnen den Bau jedesmal zerlegt hast. :D

    Viele Grüße

    vom

    Kleinen grünen Kaktus


    Schönheit ist Ansichtssache, darum lässt sich darüber nicht diskutieren!

  • Hätten sie mal Miete bezahlt, hätte es ja zumindest eine Diskussionsgrundlage gegeben.

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